Tom Otte

Beispielhaft: Die Unternehmenskultur im Gesundheitswesen

Beispielhaft: Die Unternehmenskultur im Gesundheitswesen

Im Gesundheitsbereich waren es zunächst die Leitbilddiskussionen, die zu Beginn der 90iger Jahre Fragen der Unternehmenskultur ins Blickfeld rückten. Damals hatte Horst Seehofer als Gesundheitsminister den ‚Gesundheitsmarkt‘ flächendeckend eingeführt, und damit den so genannten ‚Dornröschenschlaf‘ im Gesundheitswesen beendet.

Eine veränderte Umwelt verlangte auch nach einem veränderten Wertesystem, vor allem in einem personalintensiven Sektor wie dem Gesundheitswesen. Konsenshaft entstanden ‚Gesetzestafeln‘ – die so genannten Leitbilder. Sie sollten den Mitarbeitern Orientierung, Strukturen und Regeln im großen Umbruch geben.

Vor allem konfessionelle Träger gingen zunächst mit großen Schritten voran, weil sie die Ökonomisierung ihre werthaft fundierten Strukturen massiv betraf: Welche Rolle spielen christliche Werte auf einem neuen Gesundheitsmarkt? Wie vollziehen wir den Spagat zwischen menschlicher Zuwendung und zweckrationaler Wirtschaftlichkeit?

Die Entwicklung von Leitbildern zog ein umfassendes Projektmanagement nach sich. Ein demokratisches ‚Bottom up‘ galt damals als das Zauberwort. Ferner gab es auch noch genügend Geld im System.

Langsam schlich sich das Qualitätsmanagement auf die Bühne. Immer häufiger galt es, auch Qualitätsziele zu definieren und zu ‚implementieren‘. Auch der Zertifizierungswahn forderte seinen Tribut, die Shareholder wurden ungeduldig, das Geld wurde knapper, die Leitbildprozesse schlanker. Vor allem aber veränderten sich die Inhalte: Qualität und Prozesssteuerung hießen jetzt die neuen Zauberworte. Partizipation blieb zwar wichtig, stand aber nicht mehr im Vordergrund. Vielerorts entstand das ‚Leitbild light‘, geboren in einem kleinen Kreis Führungsverantwortlicher im Hinterzimmer.

Der ‚Fusionswahn‘ verkomplizierte die Fragen der Unternehmenskultur weiter. Mit Hilfe eines gemeinsamen Leitbildes sollten verschiedene Unternehmenskulturen unter einem Dach vereint werden. Doch das Instrument griff kaum, weil sich Kulturen vom Reißbrett den gewachsenen Gemeinschaften nicht überstülpen lassen wie der Stahlhelm in der Bekleidungskammer dem Rekruten beim Kommiss: ‚Passt, abtreten!‘. Heute hält oft nur die Knute die Dinge noch beisammen. Die Strukturen sind ein Flickwerk, sie vereinen Kulturen, die oft nicht zusammengehören. Trotzdem geht der Tanz weiter, immer noch gelangen neue Leitbilder auf den Markt …

Woran aber ist ein ursprünglich gut gemeinter Ansatz zur Verbesserung der Unternehmens-kultur gescheitert? Meines Erachtens ist die Unterschätzung von Machtfragen hier ursächlich: Wirtschaftlichkeit, Kundenorientierung, Qualitätsdiskussion und Prozessteuerung – dies alles waren Themen, die ‚von oben‘ kamen, aus den Teppichetagen der Geschäftsführung. Irgendwann bildete sich im Leitbild dann nur noch die Sichtweise des Managements ab, während die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich von diesem ‚Fürstenspiegel‘ abgewandt hatten. Die geforderte Unternehmenskultur war schlicht nicht mehr ihre Kultur, im Unternehmen entstanden Subkulturen, wo man sich unter anderem in die Krankheit flüchtete, seinen Dienst nach Vorschrift leistete – und dies alles auch noch als Teil legitimer kultureller Interessen ansah. Diese Menschen hatten längst ein eigenes ‚Leitbild‘ im Kopf, sie hatten eine eigenen Unternehmenskultur entwickelt. Die von oben geforderte Unternehmenskultur hingegen, die in den offiziellen Leitbildern in jedem Treppenhaus aushing, die war zu einer bloßen ‚Elitenkultur‘ geworden.

Hier steckt die neue Herausforderung für jede Weiterentwicklung einer Unternehmenskultur. Wir brauchen eine stärkere Verankerung und Mitsprache derjenigen, die diese Kultur leben sollen. Jede Kultur muss auch zu denen passen, die sie praktizieren sollen.

 

 

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